Düsseldorf (ots) –
Die letzte Meile zum Verbraucher ist aktuell die größte Herausforderung der Lieferunternehmen – das könnte sich bald ändern
Laut der aktuellen Studie der Unternehmensberatung Kearney hat die Paketbranche im Jahr 2022 insgesamt rund 4,2 Milliarden Standardsendungen an Empfänger in Deutschland geliefert, das sind rund 14 Millionen Sendung pro Tag. Etwa 75 Prozent davon an private Haushalte. Aber die Welt zum Kunden zu bringen, hat seinen Preis. Für Lieferunternehmen werden diese Kosten im Wettbewerb zu einem immer größeren Problem. Worin auch das Dilemma liegt, wie Sven Rutkowsky, Partner bei der Unternehmensberatung Kearney weiß: „Auf dem Land treiben die steigenden Arbeitskosten, geringe Stoppdichte und Kraftstoffpreise die Kosten, in den Ballungsräumen Mehrfachzustellung und Regulierung in puncto Zugang, Parken und Emissionen. Gleichzeitig nimmt der Wettbewerbsdruck zu, weil das Mengenwachstum gegenüber der Boomjahren 2020 und 2021 deutlich zurück gegangen ist.“ Eine Lösung liegt darin, die „letzte Meile“ wieder an den Kunden abzugeben. Das heißt Pakete werden an einen anderen Ort als den Wohnsitz des Empfängers geschickt – an einen nahen, leicht erreichbaren Ort, an dem das Paket dann selbst abgeholt werden soll. „Neben dem Arbeitsplatz der Kunden, gibt es aktuell zwei praktikable Formen dieser sogenannten Out-of-Home-Zustellung“, erklärt Rutkowsky. Die traditionellere und immer noch häufigere Form sei die Lieferung an ein Geschäft, einen Supermarkt, eine Tankstelle, bei dem Kunden ihre Pakete während der Geschäftszeiten abholen können. Allerdings zeigt die aktuelle Untersuchung von Kearney, dass der Trend ganz klar in eine Richtung geht: „Paketboxen, also automatische Paketautomaten oder Schließfächer, werden zu einer attraktiven Option für Transportunternehmen und die Kunden – wir schätzen, dass das Volumenwachstum hier bis zu fünfmal höher sein wird als bei der Hauszustellung.“
Kostendruck im Privatkundengeschäft und Umweltregulierungen
Die Paketbranche ist zunehmend auf das Privatkundensegment angewiesen. Während dieses auch in den nächsten fünf Jahren um rund zehn bis 20 Prozent steigen wird, wächst der Markt für Geschäftskunden lediglich mit der Rate des Bruttoinlandproduktes. Das Vorantreiben der Alternativen zur Hauszustellung für Privatkunden ist laut Kearney für alle Wettbewerber überlebensnotwendig. „Mit über 50 Prozent der Lieferkosten ist die letzte Meile bis zur Haustüre des Kunden mit Abstand der teuerste Teil und die Hauszustellung, die am wenigsten effiziente Zustellart“, so Robert Morwind, Projektleiter bei Kearney. „Wir haben errechnet, dass eine Lieferung, die beispielsweise 3,50 Euro kostet, im Mittel bei der Nutzung einer Paketbox statt der Hauszustellung rund einen Euro pro Paket spart. Die Gewinnspanne steigt dabei um etwa 30 Prozentpunkte.“ Auf der Umweltseite hingegen mehren sich die Forderungen, Stadtzentren in Nullemissionszonen zu verwandeln oder die Elektrifizierung kommerzieller Flotten zu erzwingen. Zudem wird der Einsatz von LKWs und Transportern in bestimmten Gebieten oder zu bestimmten Tageszeiten eingeschränkt. „Wenn die Verbraucher die Paketboxen bequem ohne Pkw, ohne Umwege erreichen können und das Fahrzeug, mit dem ein Schließfach beliefert wird, umweltfreundlich ist, können die Gesamtemissionen schätzungsweise 15-mal niedriger sein als bei Zustellung desselben Pakets direkt an die Haustür“, schätzt Morwind. Die Konsequenz liegt für Kearney auf der Hand: Lieferunternehmen, die bei der Ausweitung auf Paketboxen hinterherhinken, riskieren zunehmend Nachteile in diesem hart umkämpften Markt.
Verbraucherperspektive – Lieferkosten sparen und Rückgaben erleichtern?
Nun stellt sich allerdings die Frage, ob die Kunden bereit sind sich darauf einzulassen, nachdem sie an den Komfort der Hauszustellung gewöhnt sind. Für Rutkowsky ist klar: „Der Nutzen für Verbraucher dreht sich um die Erreichbarkeit und Verfügbarkeit der Paketbox und die Möglichkeit, Zustellkosten zu sparen.“ Richtig interessant werde es also dann, wenn für den Endkunden die Hauszustellung teurer wird als die Paketboxnutzung. „Aktuell verlangen DHL und Co. noch keinen Aufpreis, das könnte sich aber bald ändern und die Akzeptanz von Paketboxen schlagartig erhöhen.“ Die Vorteile für den Verbraucher hinsichtlich Kosten, Rücksendekomfort und Nachhaltigkeit erscheinen eindeutig, könnten jedoch auch durch die Zustellung in ein Geschäft nebenan realisiert werden. Was spricht also für das langfristige Durchsetzen von Paketboxen? Eine nicht-repräsentative Kearney-Umfrage deutet darauf hin, dass insbesondere jüngere Verbraucher die Vorteile von Paketboxen, wie die kontaktlose Kundenerfahrung und die Möglichkeit, Zeit und Ort frei zu wählen, sehr schätzen. 70 Prozent der Befragten nannten kurze Abholzeiten und die Verfügbarkeit rund um die Uhr als wichtige Gründe, warum sie Paketboxen vorziehen. Rücksendungen sowie der Verkauf von Secondhand-Ware machten vor allem während der COVID-Pandemie einen wachsenden Anteil der Gesamtsendungen aus. Obwohl dieser in der Folgezeit etwas zurückging, sieht Morwind einen zunehmenden Trend: „Genau hier setzen die Paketboxensysteme an. Rücksendungen ohne Etikett und die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit machen sie für Verbraucher gegenüber den traditionellen Sendungs- und Rücksendungsmöglichkeiten überlegen.“
Nach der Scooter-Welle die Paketboxen-Flut?
„Wir sind der Meinung, dass die Paketboxen einen mächtigen, sich selbst verstärkenden Wachstumszyklus in Gang setzen können, der die gesamte Logistik zum Endkunden umgestaltet“, erklärt Rutkowsky. Mehr Paketboxen und Preisdifferenzierung erhöhen die Akzeptanz. Diestreibt in Verbindung mit dem steigenden Kostenvorteil mehr Investitionen in Paketboxen. Je größer die Paketboxennetzwerke werden, desto bequemer werden sie für die Kunden. Dieser „Schwungradeffekt“ könnte sich als besonders ausgeprägt für „First Mover“-Anbieter und Marktführer erweisen. Diese können frühzeitig Markenbekanntheit, Kundentreue und Skaleneffekte aufbauen und sich die günstigsten und kosteneffizientesten Standorte sichern. „In 2022 sind Paketboxennetze in allen europäischen Ländern um 3.000 bis 6.000 Paketboxen pro Land gewachsen. Wir schätzen das Potenzial für ein Wachstum von etwa 400.000 zusätzlichen Paketboxen auf dem gesamten Kontinent“, so Morwind. Unterm Strich werden sich Lieferdienste mit einer großen Präsenz durchsetzen. Es könnte aber auch anders kommen: In einigen europäischen Ländern, wie Polen, haben sich Paketboxenbetreiber ohne eigenes Verteilnetz bereits eine Pole-Position erkämpft und wachsen derzeit stärker als die Zustelldienste. Diese könnten zu Subunternehmen der großen Boxennetzwerkbetreiber werden. Infrastrukturfonds sind interessiert, Investitionen in Paketboxen auch im großen Stil zu finanzieren. Während es zwischen den Lieferdiensten ein Wettbewerb um die besten Standorte gibt, erhöht sich der Druck auf die Politik, eine Regulierung zu schaffen, die die Eigentümer der Paketboxen zwingen könnte, diese allen Zustellern zugänglich zu machen. Das spielt neutralen Boxennetzwerken in die Karten. „Ein Wettbewerbsvorteil der Vorreiter unter den Lieferdiensten könnte auch dann bleiben, denn es wird Möglichkeiten geben, den ‚eigenen Paketen‘ gewissen Vorteile zu verschaffen. Auch die durch lokale Regulierung erzwungene Konsolidierung der Zustellung in dicht besiedelten Gebieten, so dass die letzte Meile von einem einzigen lizensierten Anbieter betrieben werden muss, wurde bereits in einigen Städten Europas umgesetzt“, erklärt Rutkowsky. Aber eine Regulierung zu neutralen Paketboxen sei wesentlich wahrscheinlicher als eine Zwangs-Monopolisierung. So oder so, das Rennen um die Paketboxen könnte der Nokia-Moment der Zustellbranche sein.
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